"Ausziehen kann sich jeder"... oder?
Ein Vorurteil, mit dem v.a. meine Kolleginnen, die sich rein auf Sexarbeit konzentrieren, zu kämpfen haben, ist, dass sie nichts könnten außer sich auszuziehen - aber selbst das könne jeder... doch stimmt das überhaupt?
"Ich finde es wichtig, dass es das gibt, aber ich könnte das nicht." ist ein Satz, den wir Sexarbeiterinnen dauernd hören - und er stimmt auch. Sich vor Fremden auszuziehen und für Geld zu berühren, ist eine Sache, die für die meisten Menschen nicht infrage kommt. Es gibt Ehefrauen, die beim Sex sogar das Licht ausschalten und sich unter der Decke verstecken, weil sie sich für ihre Körper schämen und sie nicht mal ihren Partner/innen zeigen möchten. Sich vor anderen zu entkleiden kann bei Weitem nicht jeder und das dann auch noch zu filmen und ins Internet zu stellen, ist eine Sache, die sich die meisten Menschen niemals trauen würden. Es ist eine Gabe, sich dabei wohlzufühlen, seinen Körper herzuzeigen - keine Selbstverständlichkeit.
Gesellschaftlich reduziert man uns gern auf dummes Fleisch, das nichts könne außer dazuliegen, aber dieses Vorurteil könnte der Realität nicht ferner sein. Sexarbeit ist eine Kunstform: wir steuern die Stimmung, erzeugen das Knistern in der Luft und schaffen einen Raum, in dem sich unser Gegenüber zur Gänze entfalten kann. Es hängt nicht davon ab, ob der Kunde unser Typ ist oder nicht, wir können unsere Intimität unabhängig oberflächlicher Attribute unbegrenzt mit anderen teilen. Auch die Produktion von Pornographie ist erstaunlich komplex und arbeitsaufwändig.
Abgesehen davon muss man nur mit uns Sexarbeiterinnen sprechen, um festzustellen, dass man es sehr oft mit unglaublich facettenreichen und intelligenten Frauen zu tun hat. Wir sind mehr als unser Beruf und das sogenannte "Rotlichtmilieu" ist nichts als eine Werbemasche, die auf das Vermarkten des "Verbotenen" und "Schmutzigen" abzielt, da Tabuisiertes immer besonders aufregend und anziehend wirkt. In Wahrheit sind wir sind sehr unterschiedliche Menschen mit breit gefächerten Interessen, die einfach einem Beruf nachgehen.
Also ja - wir können uns ausziehen, was keine Selbstverständlichkeit ist, wir sind aber mehr als nur unser Beruf.