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Freierkastration und Nirvana

Aktualisiert: 17. Juli 2022

Meine Kolleginnen und ich haben vor Kurzem eine Diskussion über AO-Dienstleistungen geführt. Wie die brave Leserschaft - danke übrigens für das rege Interesse, ich sehe die Statistiken zu eurer Aktivität - schon weiß, halte ich AO (Verkehr ohne Schutz) mit Sexarbeitenden für gefährlich, dumm und egoistisch von Freierseite aus. Meine Kolleginnen, mit denen ich gesprochen habe, sehen das aber ganz anders.


Sexarbeitende haben das Privileg, Menschen so zu erleben, wie sie wirklich sind. Unverfälscht, intim und echt. Deshalb tragen wir die moralische Verantwortung, unsere Kundschaft auch nicht für ihre Vorlieben zu verurteilen. Wir müssen natürlich nicht bei allem mitmachen, aber ein urteilsfreies und wertschätzendes Miteinander ist die Grundvoraussetzung für gute Sexarbeit.


Meine Kolleginnen sind jedoch viel verständnisvoller und freundlicher als ich, was AO-Interessenten anbelangt. Wenn sie nämlich von Fremden nach Sex ohne Schutz gefragt werden, bleiben sie freundlich und zuvorkommend, verurteilen dieses Verhalten nicht und empfehlen ihnen sogar andere Prostituierte, die statt ihnen AO anbieten. Wenn mich jemand nach AO fragt, sage ich ihm auf professionelle Art und Weise, dass er ein Volltrottel ist und sich schleichen soll.


Die Frauen, mit denen ich gesprochen habe, sehen AO als Fetisch, den es nicht zu verurteilen gilt. Das sehe ich anders: In unserer Fantasie (keine Geschlechtskrankheiten, keine Schwangerschaften) hätten wir fast alle lieber Sex ohne Kondom - es ist unkomplizierter, intimer und ja, es fühlt sich leider wirklich besser an. Im Privaten kann man das auch gerne ausleben!

Wenn aber jemand Sexarbeitende dazu anzustiften versucht, ihre Gesundheit und Existenz (HIV = lebenslanges Berufsverbot) zu gefährden, dann empfinde ich das als bodenlose Frechheit. Wie kann man es sich erlauben, andere darum zu bitten - geschweige denn es zu erwarten! - mal kurz alles, was man hat, für einen auf's Spiel zu setzen? Also da hört sich bei mir die Toleranz wirklich auf - so ein Verhalten verurteile ich zutiefst.


Ähnlich ist mein Umgang mit Vergewaltigungsfetischen: Es ist absolut in Ordnung und nicht zu verurteilen, wenn man von Vergewaltigungen träumt, wenn man sich Rape-Fantasy-Pornographie anschaut und wenn man Vergewaltigungen einvernehmlich mit anderen nachstellt. Wenn man dann aber wirklich in die Disco geht und ein betrunkenes Mädchen abschleppt und missbraucht, dann geht das gar nicht. Fantasie und Realität sind klar zu trennen.


Kastrieren möchte ich die Freier, die Sexarbeitende grundlos (wir sind auch nicht alle Engel, Artikel zur Diskriminierung behinderter Freier ist in Planung) verachten v.a. deswegen, weil meine Kolleginnen und ich (aber sie mit dem AO-Verständnis in größerem Ausmaß) alles dafür geben, dass sich andere Menschen angenommen, geschätzt und nicht verurteilt wissen. Das ist ein riesengroßes Geschenk an die Menschheit. Wie wertvoll kann man als Person sein, um nicht mal die AO-Deppen zu verurteilen, die aktiv und schamlos die Gesundheit und Existenz von Sexarbeitenden gefährden wollen? Aus buddhistischer Sicht (ich interessiere mich für Religionswissenschaften) ist das die Definition des höchsten Mitgefühls und die ideale Voraussetzung dafür, Erleuchtung zu erlangen. Wenn jemand Samsara entkommt und Nirvana erreicht, dann meine Kolleginnen!

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