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Ich liebe meinen Kanzler, aber die Verachtung dafür ist schrecklich!

Vorgestern wurde im STANDARD ein anonymisiertes Interview mit mir veröffentlicht - die haben mir das Pseudonym "Sarah" gegeben und mich tatsächlich 23 Jahre alt gemacht; ich war ganz schön empört! -, das den Titel "Ich liebe Sexarbeit, aber die Verachtung dafür ist schrecklich" trug. Der Artikel ging viral und zog tausende Kommentare an, die ich mir natürlich nicht alle durchlesen konnte. Ein Beitrag, den ich auch in meinem vorgestrigen Blogpost kurz anschnitt, ist mir jedoch besonders in Erinnerung geblieben:


"Ich liebe meinen Kanzler, aber die Verachtung dafuer ist schrecklich", Thomas S., H u r e der Reichen (oder hat das garnichts mit Sexarbeit zu tun?)"


Eigentlich dürfte ich diesen Kommentar nicht gutheißen, meine Berufsbezeichnung wird schließlich in einem abwertenden Kontext verwendet, und er stammt - schelmisch ausgedrückt - ganz klar von einem frustrierten Geringverdiener ("Autsch, das kann sie doch nicht ernst meinen, die Frau ist ein klassistischer Albtraum, nieder mit der Bourgeoisie!"), aber ich liebe Politsatire und finde das einfach unglaublich komisch.


Ich liebte meinen Kanzler ja auch, aber die Verachtung dafür - einfach schrecklich! So viel ist klar: in der ÖVP geht was weiter - auch ohne Kurz. Gut, vielleicht geht's ein bisserl langsamer weiter als vorher, aber es tut sich was. Die bezaubernde Claudia Plakolm, ÖVP-Jugendstaatssekretärin und feministischer Hoffnungsschimmer der Konservativen, sprach sich öffentlich gegen ein Abtreibungsverbot aus. Keine große Sache? Doch schon!


Bedauerlicherweise sah man immer wieder ÖVP-Mitglieder bei Antiabtreibungsdemos mitmarschieren. Durch eine türkise Politikerin, die in dieser Klarheit öffentlich gegen ein Abtreibungsverbot auftritt, wird der österreichische Konservativismus nun endlich stärker vom christlichen Fundamentalismus entkoppelt. Die ÖVP bleibt jung - auch ohne Kurz - und wird immer wählbarer für meine Generation.


Fast wäre mit Claudia Plakolm die Liebesgeschichte zwischen Türkis und mir perfekt, wäre nur die Politik der ÖVP zum Thema Prostitution nicht absolut zum Sch(m)eissen! Schwachsinnigkeiten, wie das Boykottieren der Entkriminalisierung der Sexarbeit in Vorarlberg, Freierbestrafung oder Werbung gegen Paysex, entspringen den absurden Fantasien unserer ÖVP-Politiker/innen.


Wenn die Herrschaften doch nur außerhalb vom Hotelzimmer mit uns reden würden! Mein Gott, andere Parteien schaffen es auch, sich mit unserer Berufsvertretung in Verbindung zu setzen und uns zu unseren Anliegen und Bedürfnissen zu befragen! Ich würde gerne öfter mit euch liebäugeln, vielleicht würde ich Flittchen sogar mit euch ins Wahlkabinerl steigen, aber wie, wenn ihr in Bezug auf die Sexarbeit so einen Mist verzapft?


Liebe Politiker - bewusst nicht gegendert - aller Art (aber besonders die der ÖVP) - ich weiß, dass ihr mitlest, ich kenne mein Klientel - meldet euch bitte bei der Berufsvertretung Sexarbeit Österreich (BSÖ) und sprecht mit uns über unsere Anliegen und Bedürfnisse.


Wir arbeiten in einem derartig stigmatisierten Segment - das Rotlichtmilieu existiert in Wirklichkeit nicht mal (das bestätigen sogar Kolleginnen, die seit über 20 Jahren in der Branche tätig sind und alle Formen der Prostitutionsausübung ausprobiert haben) -, dass wirklich nur wir wissen, wie man unsere Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern kann.


Die österreichische Bevölkerung ist nicht deppat und erkennt sehr wohl, dass euer Konzept von Sittenwidrigkeit nicht nur überholt, sondern v.a. verlogen ist. Hört auf damit, euch öffentlich zu blamieren und redet mit uns bevor ihr irgendwelche Blödsinnsforderungen in den Raum stellt, die unsere Situation nur noch weiter verschlechtern.


Wir sind motiviert, gebildet und engagiert. Und wir sind viele. Alle Ressourcen für gute Politik rund um das Thema Sexarbeit sind da - ihr müsst nur zugreifen.


Mit mahnenden Grüßen,

Julia von Steyr, Hure der Reichen

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