In die Prostitution "abrutschen"?
Aktualisiert: 17. Juli 2022
Immer wieder hört man von Frauen, die in die Prostitution "abrutschen". Das ist interessant, weil ich noch nie davon gehört habe, dass man in die Selbstständigkeit "abrutschen" kann. Ganz im Gegenteil: In allen anderen Gewerben wird es sogar als sozialer Aufstieg betrachtet, wenn man sich selbstständig macht - nur in der Erotikbranche nicht. Woran liegt das?
Man würde meinen, man hätte das negative Bild von Sexualität hinter sich gelassen: Radiosender spielen Lieder wie "WAP", Musikerinnen twerken unter großem Zuspruch vor ihrem Publikum und Berühmtheiten sprechen bei Talkshows öffentlich über ihr Liebesleben. Und trotzdem - bezahlte sexuelle Dienstleistungen sind schmutzig, sind ein Downgrade, gehören verboten. Also scheint vielleicht der Geldfaktor das Problem zu sein?
Nicht ganz, denn sonst würden wir auf jede bezahlte Leistung herabschauen. Wenn ich als Autorin einen Auftrag bekomme mit dem ich Geld verdiene, erhöht sich mein Sozialprestige, ich bin legitimiert und herzeigbar. Wenn ich aber für sexuelle Dienstleistungen bezahlt werde, sinkt mein Ansehen in der Gesellschaft.
Also scheint vielleicht ein Unterschied zwischen rein intellektuellen und körperlichen Tätigkeiten gemacht zu werden?
Wir kommen der Sache schon näher. Es scheint fast so als würde die Zeit, die man während der Arbeit oder der Ausbildung für den jeweiligen Beruf stillsitzend verbringt, das Sozialprestige ausmachen. Wahnsinn, fast schon so wie damals als braune Haut körperliche Arbeit symbolisierte und sich die weiße Oberschicht deshalb tagsüber nicht ohne Sonnenschutz aus ihren Häusern bewegte! Kann es sein, dass wir diese Denkmuster über Generationen hinweg weitergetragen haben? Na sag mir, wer hätte das gedacht!
Bauarbeiterinnen, Putzfrauen und Supermarktmitarbeiterinnen können mit dem gesellschaftlichen Ansehen von Juristinnen oder Professorinnen jedenfalls nicht mithalten, weil ihnen die jahrelange sitzende Ausbildung fehlt. Und jetzt wissen wir auch, wie wir das Prestige von Sexdienstleisterinnen ein wenig erhöhen könnten: Ausbildungen als Voraussetzung für das Anbieten bestimmter sexueller Dienstleistungen schaffen, wie es (mehr oder weniger, Erklärung folgt in einem anderen Artikel) z.B. mit den Lehrgängen zur Sexualbegleitung/Sexualassistenz getan wird. Vielleicht gibt es in ferner Zukunft sogar ein Bachelorstudium als Berufsausbildung für die Sexualbegleitung. Es würde jedenfalls helfen, das gesellschaftliche Ansehen von Sexdienstleisterinnen im Pflegekontext zu erhöhen. Die anderen Prostituierten würden dann aber trotzdem die "schlechten" und "schmutzigen" Huren bleiben.
Sie haben jetzt vermutlich gehofft, wir hätten das Problem gelöst, es hätte gar nichts mit Sexualität, sondern mit körperlichen Dienstleistungen generell zu tun, wieso Prostituierte so einen schlechten Ruf haben. Tja, falschgedacht! Eine Uniprofessorin, die privat aus Spaß Sex hat, sehen wir als normalen Menschen, sie bleibt legitimiert. Doch wehe, sie nimmt dafür Geld! Wie kann sie nur, ist sie überhaupt eine richtige Wissenschaftlerin, interessiert sie sich gar nicht für ihre Arbeit an der Uni oder hat sie nur Sex im Kopf?! Bei gesellschaftlich angesehenen Berufen ist es genau umgekehrt: Geschichten erfinden kann jeder, aber erst wenn man dafür bezahlt wird, ist man als Autorin legitimiert und gesellschaftlich aufgestiegen. Würde die Professorin statt Sexarbeit nebenbei Romane veröffentlichen oder viel Gartenarbeit machen, würde sie in der sozialen Hierarchie noch höher aufsteigen. Wahnsinn, sie schreibt zusätzlich Bücher/sie leistet körperliche Arbeit als Ausgleich zu ihrem sitzenden Unialltag. So clever und kreativ!
Sexarbeit scheint also jegliche Leistungen außerhalb der Erotikbranche abzuwerten, unabhängig von den anderen Kompetenzen eines Menschen. Wir schlussfolgern: aus sexuellen Handlungen darf man keinen finanziellen Gewinn ziehen, wenn man gesellschaftlich angesehen bleiben möchte. Anscheinend werden sexuelle Dienste mit schädigenden Handlungen gleichgesetzt, so darf man z.B. auch nicht aus Mord oder Diebstahl Profit ziehen, wenn man von der Gesellschaft nicht verachtet werden möchte. Doch wem schaden Sexarbeiterinnen? Leisten wir keinen essenziellen Beitrag zum Allgemeinwohl? Sind es nicht wir, die durch unsere Dienstleistungen sexuelle Übergriffe verhindern, Menschen das Gefühl geben, dass sie gesehen und angenommen werden und monogame Ehen retten? Würden Ehemänner, die ihre Frauen zwar lieben, aber in der Beziehung sexuell unglücklich sind, nicht zu uns kommen können, wären die Alternativen nur Affären oder Scheidungen. Sexarbeiterinnen halten die Gesellschaft zusammen.
Wenn wir also nicht den Freiern und auch nicht der Gesellschaft schaden, wem schaden wir dann? Uns selbst? Alice Schwarzer würde diese Antwort jedenfalls gefallen. Die armen Prostituierten wissen gar nicht, was sie wollen, wir müssen sie vor sich selbst schützen und ihre Arbeit kriminalisieren! Wenn mich jemand vom 5-Sterne-Hotelzimmer in einen Bürojob "hineinretten" würde, wäre ich jedenfalls todunglücklich. Vielleicht fußt der schlechte Ruf der Prostitution unter anderem auf Misandrie? Wie kann man nur freiwillig mit fremden Männern Sex haben? Da muss man doch dazu gezwungen werden, dass man so etwas macht! Meine Freunde und ich gehen in den Puff und ficken Huren, aber ich will nicht, dass meine Tochter eine wird, damit sie nicht.... auf Typen wie uns trifft. Hah! Männer wissen, wie grausam sie sein können, wie schlecht sie über ihre Sexdienstleisterinnen sprechen und was für schlimme Dinge sie in den Foren über uns teilen. Niemand kennt Männer besser als Männer. Und natürlich Alice Schwarzer, die Pseudo-Feministin, die durch ihre Ehe mit einer Frau Männern für immer abgeschworen hat, die kennt Männer natürlich am besten. Ich bin mir fast sicher, dass Menschen, die wie sie denken, weniger Probleme mit Sexarbeiterinnen hätten, die ihre Dienste ausschließlich Frauen anbieten.
Was auch noch zum schlechten Ruf der Sexarbeit beiträgt, sind also die Eltern, die ihre Kinder vor diesem "Milieu" (es ist kein Milieu, aber dazu ein anderes Mal) schützen möchten. Dass sie damit nichts verhindern können und die Situation für die Sexarbeiterinnen nur verschlimmern, blenden sie aus. Indem sie ihre Familienmitglieder verstoßen, die aus freien Stücken erotische Dienstleistungen anbieten, glauben sie ihr eigenes Ansehen retten zu können, denn wer möchte schon Personen in der Familie haben, die sich selbstständig gemacht haben, gut Geld verdienen UND glücklich sind? Also das geht gar nicht!
Ein weiterer Grund für den schlechten Ruf der Prostitution ist die Unterstellung vermeintlicher Faulheit, was ich als eines der dümmsten Vorurteile überhaupt sehe, weil wir Zeit direkt gegen Geld tauschen, was genau das Gegenteil von Faulheit ist. Menschen, die Unternehmen gründen oder investieren und sich ein passives Einkommen aufbauen, ihre Ressourcen also für sich arbeiten lassen, ohne den ungeschickten Deal zu machen, Zeit direkt gegen Geld zu tauschen, genießen hohes gesellschaftliches Ansehen. Hat man erst die Abläufe etabliert, die die Geldmaschinerie zum Laufen bringen, kann man sich auf der Couch ausruhen und den ganzen Tag fernsehen während man ohne großen Aufwand passives Einkommen generiert. Ich bin mir sicher, dass Sexarbeiterinnen in Österreich nicht als faul betrachtet werden würden, wenn sie nur 15€ pro Stunde verdienen würden. Übrigens: Der körperliche Kontakt mit der Kundschaft macht derzeit nur 10% meiner Arbeit als Escort aus, weil einfach so viel mehr dazugehört als ficken.
Wir sehen also, dass der schlechte Ruf der Erotikbranche auf vielen Aspekten fußt. Seien es die fehlende sitzende Ausbildung, die Verteufelung des Geldverdienens durch selbstbestimmte Sexualität oder der Stundenlohn, der für gewöhnlich höher als der des Durchschnitts ist. Natürlich konnte ich in diesem Artikel bei Weitem nicht alle Denkweisen aufzeigen, die zum fehlenden gesellschaftlichen Ansehen von Sexarbeiterinnen beitragen. Dass Prostitution ein frauendominiertes Feld ist, macht nämlich einen weiteren großen Aspekt des schlechten Ansehens aus, aber das ist ein Thema für einen anderen Artikel.