Ist der Film "Good Luck to You, Leo Grande" realistisch?
Spoiler alert: Schaut euch zuerst diesen durchaus empfehlenswerten Film über Sexarbeit an und kommt dann hierher zurück, um zu erfahren, was eine echte Escort-Dame darüber denkt.
Vor Kurzem machten wir einen BSÖ-Ausflug ins Kino, um uns gemeinsam "Good Luck to You, Leo Grande" anzusehen. In diesem Film geht es um eine ältere Dame, die einen jungen Callboy bucht, der mit ihr die sexuellen Erfahrungen sammeln soll, die sie ihr ganzes Leben vermisste.
Ich habe die Vermutung, dass für diesen Film echte Sexarbeitende konsultiert wurden, da v.a. die anfängliche Konversation zwischen Leo Grande und Kundin Nancy sehr realitätsnahe ist. Die Fragen "Warum machst du das?", "Was tust du, wenn du dein Gegenüber gar nicht attraktiv findest?", "Magst du deinen Job?" und "Wie alt war deine älteste Kundin?" werden beim ersten Date geduldig beantwortet. Leos Antworten hätten teilweise 1:1 von mir stammen können. Besonders realitätsnah war auch das fehlende Gespür der Kundin für die Privatsphäre und die Grenzen des Dienstleisters. Ständig stellte sie ihm persönliche Fragen zu seinem Familienleben, besonders zu seiner Mutter, die er nur wage beantwortete, um schließlich das Thema zu wechseln. Auch manche meiner Klienten vergessen, dass wir eine professionelle Beziehung zueinander haben und es grenzüberschreitend und aufdringlich ist, mich nach sensiblen Informationen wie meinem echten Namen und dergleichen zu fragen.
Um Sexarbeit dann doch ein wenig zu problematisieren, gibt es eine Szene, in der sich Leo mit wässrigen Augen im Spiegel betrachtet, woraufhin wir im Kino die Augen verdrehten. Beim dritten Date erreicht das grenzüberschreitende Verhalten der Kundin seinen Höhepunkt als Nancy Leo verkündet, dass sie im Internet recherchiert hat, um seinen echten Namen herauszufinden, und sie ihn bittet, ob man nicht Freunde sein und sich außerhalb der Paydates treffen könne. Leo bricht daraufhin die Session ab, was grundsätzlich wirklichkeitsnah wäre, würde daraufhin nicht noch eine Szene folgen, in der er kurz bevor er das Hotelzimmer verlässt wegen seiner Mutter, auf die Nancy ihn schon wieder ansprach, zu weinen begann. Am unrealistischten ist hingegen, dass es nach dieser völligen Grenzüberschreitung von Kundinnenseite aus noch ein weiteres Treffen gibt.
Trotz dieser Punkte fühlte ich mich dennoch gut unterhalten. Ich kann "Good Luck to You, Leo Grande" ohne schlechtes Gewissen weiterempfehlen, da es mir besonders gut gefallen hat, dass im Film die Wichtigkeit der Entkriminalisierung unseres Berufes thematisiert wurde und ein Sexarbeiter gezeigt wurde, der seinen Job gerne macht. Wir brauchen mehr positive Repräsentation in Film und Fernsehen und "Good Luck to You, Leo Grande" erfüllt diesen Zweck recht gut.