Offener Brief des BSÖ über die 4000€-Strafe für den Anwalt
Offener Brief an die Anwaltskammer und den Obersten Gerichtshof bezüglich des OGH Urteils GZ20Ds5/22y vom 29.11.2022 zum „Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes“ gegen den Anwalt, der sich mit einer Sexarbeiterin im Rahmen einer ATV Sendung filmen ließ.
Wie heute in mehreren Tageszeitungen berichtet, bestätigte ein OGH Urteil die Disziplinarstrafe durch die Anwaltskammer gegen einen Wiener Anwalt, nachdem er sich in einer ATV-Sendung mit einer Sexarbeiterin filmen ließ.
Die mediale Ankündigung der Inanspruchnahme einer sexuellen Dienstleistung bzw. der öffentliche Kontakt zwischen einem Anwalt und einer Sexarbeiterin schaden demnach dem Ansehen des Berufsstandes der Anwält*innen.
Nun verstehen wir als Berufsgruppe, die in der breiten Gesellschaft auch gerne als geldgierig, ohne moralischen Kompass etc. beschrieben wird, wie schwer und wichtig es ist, den eigenen Berufsstand in ein besseres Licht zu rücken, und wir sind in dieser Aufgabe wohl mit ähnlichen Problemen konfrontiert wie Sie.
Genau wie Anwält*innen arbeiten wir in Österreich legal, zahlen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge und sind mitunter gebildete und ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft.
Wegen Urteilen wie dem angesprochenen und Formulierungen wie „Schädigung des Standesansehens in der öffentlichen Werbung für oft mit menschlichem Leid verbundene Prostitution gerade durch einen Rechtsanwalt“ (siehe Rechtliche Beurteilung, Pkt 5 des Urteils) sind wir leider immer noch so mit Stigmatisierung und Diskriminierung konfrontiert, dass nur wenige von uns öffentlich sagen können, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Deutlicher als in diesem Urteil wird selten ausgedrückt, wie Sexarbeiter*innen in unserer Gesellschaft geächtet werden.
So wie viele von uns die Dienstleistungen von Anwält*innen in Anspruch nehmen, ist es umgekehrt genauso.
Darum würden wir uns von Ihnen den Respekt wünschen, den wir auch Ihnen entgegenbringen und hoffen, dass veraltete Ansichten darüber, dass „Ehre und Ansehen“ eines gesamten Berufsstandes verletzt würden, wenn man neben einer freiwillig arbeitenden, registrierten Sexarbeiterin steht und sich dafür nicht schämt, im 21. Jahrhundert über Bord geworfen werden.
Tatsächlich ist es eher das angesprochene Urteil, welches dem Ansehen und der Ehre Ihres Berufsstandes schadet.
Hochachtungsvoll,
Der Vorstand und die Mitglieder des Berufsverband Sexarbeit Österreich (BSÖ)
Wien, am 2. Jänner 2023