Streitthema Nr. 1: Gesundenuntersuchungen für Sexarbeitende
Aktualisiert: 17. Juli 2022
Kaum ein Thema wird in der Sexworker-Community in Österreich so emotional diskutiert wie das der verpflichtenden Gesundenuntersuchungen. Viele möchten schon gar nicht mehr darüber sprechen, weil sie Anfeindungen und hitzige Diskussionen fürchten. Daher ich anscheinend ein natürlich-aufmüpfiger Mensch bin und Streit als Resultat von Mundaufmachen in Kauf nehme, möchte ich ein öffentliches Statement dazu abgeben.
Ich finde unsere Pflichtuntersuchungen alle sechs Wochen großartig. Das Intervall ist gut gewählt, es geht schnell und ist unkompliziert. Meiner Kundschaft und mir ist meine Gesundheit versichert(er) und ich kann ohne Sorgen arbeiten. Einige Sexarbeitende sehen das aber ganz anders. Hier sind deren Argumente gegen die Pflichtuntersuchungen und meine Kommentare dazu:
"Österreich ist das einzige Land weltweit, in dem es verpflichtende Untersuchungen für Sexarbeitende gibt!"
Ein Grund mehr für mich, dankbar zu sein, dass ich in Österreich geboren wurde.
"Die Verantwortung für die Prävention von Geschlechtskrankheiten wird durch die Pflichtuntersuchungen ausschließlich auf die Sexarbeitenden abgewälzt! Es wird ausgeblendet, dass Freier selbstbestimmt sind und für ihre Entscheidungen gleichermaßen verantwortlich sind."
Ich bin bei der Arbeit Dienstleisterin, nicht Privatperson und möchte meinem Klientel das höchstmögliche Maß an Sicherheit bieten.
Ja, der Kunde ist für sich selbst verantwortlich, doch ist es Menschen, die ein generelles Risikoverhalten an den Tag legen oder gar AO-Dienstleistungen in Anspruch nehmen, herzlich wuascht, ob die Dienstleistenden vor ein paar Wochen untersucht wurden oder nicht. Wenn ich als Privatperson mit anderen Studentinnen verkehre und sie seit ihrer letzten Testung wechselnde Geschlechtspartner*innen hatten, dann lecke ich sie nicht ungeschützt. Punkt. Verantwortungsbewusste Menschen sind verantwortungsbewusst. Andere sind es nicht und lassen sich auch von fehlenden Gesundenuntersuchungen nicht abhalten, weil "Geschlechtskrankheiten bekommen eh immer nur die anderen".
"Die Polizei mietet angeblich Privatwohnungen für verdeckte Ermittlungen an und macht Fotos von Sexarbeitenden!
Wir können als Sexarbeitende dankbar dafür sein, dass es die Polizei gibt.
1312 war gestern, ja, auch ich hatte eine rebellische Phase. Letztendlich können wir aber froh sein, dass es eine Kontrollinstanz gibt, die illegale Prostitution verhindern möchte. Illegales Arbeiten bedeutet gefährliches Arbeiten. Die Intransparenz bzgl. der Datenverwahrung ist natürlich schade, aber nichts, weshalb man die Gesundenuntersuchungen abschaffen soll.
"Die Pflichtuntersuchungen verletzen die Intimsphäre und Menschenwürde von Sexarbeitenden!"
Wenn ich mich mit meinem Arsch auf das Gesicht eines Fremden setzen kann, dann kann ich auch alle sechs Wochen einen Abstrich machen gehen. Eine amtsärztliche Pflichtuntersuchung ist keine sexuelle Nötigung. Wenn man das nicht machen möchte, dann kann man gerne einen anderen Beruf wählen, so wie sich Altenpflegende, die sich nicht impfen lassen wollen, ebenfalls brausen gehen können.
"Sexarbeitende sollen sich selber aussuchen dürfen, wie sicher sie arbeiten!"
Alle Berufe haben Sicherheitsvorschriften, warum sollte es in der Sexarbeit plötzlich keine mehr geben? Sehr viele Taxifahrer*innen schnallen sich nicht an, weil sie nicht müssen. Bei einem Unfall gefährden sie dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch mich. Nicht nur Reifen können platzen, sondern auch Kondome. Wenn man Menschen keine Sicherheitsregeln gesetzlich vorschreibt, dann halten sich nur die wenigsten von selbst dran.
"Zwangsregistrierungen und Pflichtuntersuchungen sollen abgeschafft werden!"
Sobald der Staat das Gefühl hat, den Überblick über eine Situation verloren zu haben, greift er zu Verboten. Ich halte das für eine gefährliche Forderung, sich als Sexarbeitende unsichtbar zu machen.
Ich bin zuversichtlich, dass uns die verpflichtenden Gesundenuntersuchung solange erhalten bleiben, solange Prostitution in Österreich erlaubt ist. Ich denke, dass Untersuchungen auf rein freiwilliger Basis keinen ausreichenden Schutz bieten würden, da der Mensch mit der Zeit schleißig wird und die meisten Sexarbeitenden - wenn überhaupt - nur mehr alle paar Monate zur Untersuchung gehen würden, wenn es halt gerade passt oder bereits Symptome aufgetreten sind. Ja, die Pflichtuntersuchungen haben sicher auch eine Kontrollfunktion für den Staat; das ist aber nichts Schlechtes. Der Staat ist nicht unser Feind, die Polizei auch nicht. Natürlich verstehe ich aber, wieso das für einige Menschen manchmal so wirken mag.