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Wer von Julia Gratiswatschen kassiert

Eigentlich hatte ich mein Kommentieren der STANDARD-Interview-Kommentare für beendet gehalten, bis ich durch Zufall auf diesen Schwachsinn gestoßen bin:


"Da in Ö 90% der Prostitutierten Migrantinnen sind, ist weder das Interview mit einer einheimischen akademischen Nobelescort, noch auch der BSÖ mit 20% Migrantinnenanteil für das Milieu repräsentativ."


Die Leute lesen nicht mal, worum es im Interview geht, sehen nur "Nobelescort" und denken sich "Aha, die hat sicher keine Ahnung, die darf nicht mitreden, das schreib ich mal in die Kommentare." Ach, die Menschheit ist wohl wirklich verloren, der Meteor ist längst überfällig...


In dem Interview geht es um die Verachtung, der wir Sexarbeitenden täglich ausgesetzt sind, und um die Prostitutionsgesetze in Österreich. Ich könnte alle Leute, die unter dem Interview mit "nicht repräsentativ" daherkommen, abwatschen und würde ihnen am liebsten ihre Schulabschlüsse wegnehmen, weil im Deutschunterricht solche Kommentare als Themenverfehlungen gewertet werden würden.


Dass diese Person dann auch noch von "Milieu" spricht, zeigt, dass sie sich noch nie mit einer Sexarbeiterin unterhalten hat. Das sogenannte "Rotlichtmilieu", wie es von den Medien portraitiert wird, existiert nicht. Wir sind ganz normale Menschen, die einem Beruf nachgehen. Wer mir nicht glaubt, der fahre in einen beliebigen Puff und rede mit den Damen.


"Nicht repräsentativ" wird mir im Rahmen meines politischen Aktivismus mit der Intention, meine Worte zu diskreditieren, ständig an den Kopf geworfen. Ich finde das unglaublich schwachsinnig, weil man durch ein bisserl logisches Denken draufkommen könnte, dass ich durch die Eigenschaften "österreichisch", "akademisch gebildet" und "wohlhabend" alle Mittel habe, um mich mit meinen Kolleginnen aller Verdienstklassen umfassend auszutauschen. Wir von der Berufsvertretung Sexarbeit Österreich (BSÖ) sind sogar mit Dolmetscher/innen am Straßenstrich unterwegs und reden mit den dort arbeitenden Damen, zu denen wir ansonsten schwer Kontakte knüpfen könnten. Die BSÖ besteht dennoch nicht nur aus Nobelprostituierten (ich bin sogar eine der wenigen), wir haben auch einige Mitglieder, die für extrem wenig Geld arbeiten. Dass wir einen Migrantinnenanteil von "nur" 20% haben, ist eh schon großartig, da es bereits einen eigenen Verein für migrantische Sexarbeitende gibt und sich nicht-deutschsprachige Prostituierte logischerweise an den wenden.


Ich wünschte, die Leute würden mit uns sprechen (oder wenigstens nachdenken) bevor sie irgendeinen Blödsinn ins Internet schreiben. Eva van Rahden, die das SOPHIE-Beratungszentrum bis zu ihrer Pensionierung erfolgreich geleitet und jahrelang täglich mit Sexarbeitenden gearbeitet hat, schätzt den Migrantinnenanteil unter den Prostituierten in Österreich übrigens auf 60-80%. Es gibt richtig viele österreichische Damen, die illegal arbeiten (Stichwort: "Hobbyhure").


"die sexindustrie lobby dankt für die kostenlose reklame. -irony off-

sexarbeit ist weder sex noch arbeit. sondern unfreiwillige prostitution in 99% der fälle. das nordisches modell wird sowieso kommen, also bitte lieber früher als später."


Leute schreiben erwiesenermaßen Lügen ins Internet und bleiben straffrei. Ich weiß, ich weiß, das ist Meinungsfreiheit, wo sind die Grenzen, wenn wir das Verbreiten von Fake News verbieten, aber solche Gfraster, die absichtlich Mist reden, schaden uns Sexarbeitenden absichtlich und aktiv. Die einzige Selbstjustiz, die mir bleibt, ist Aufklärung. Vielleicht mache ich aber auch mal eine BDSM-Gratisaktion für Prostitutionsgegner/innen (sexuelle Dienstleistungen seien ja nur einvernehmlich, wenn sie kostenlos seien) und verhau die alle bis sie nicht mehr sitzen können.


Aufgrund dieser ganzen Vorurteile, habe ich mich übrigens dazu entschlossen, meinen politischen Aktivismus nicht mehr anonym, sondern öffentlich mit unverdecktem Gesicht weiterzuführen. Ich bin mir dem bewusst, dass mein Klarname und somit meine sensiblen Daten recht schnell rauskommen werden und außerdem Gesichtserkennungstechnologien in Zukunft gefährlich werden könnten (weshalb ich bisher so gut wie kein Social Media verwendete). Mein politisches Ziel, die Sexarbeit in Österreich zu entstigmatisieren, ist mir jedoch wichtiger als meine persönlichen Befindlichkeiten, weshalb ihr mich schon bald u.a. im Fernsehen sehen werdet. Ich werde euch natürlich rechtzeitig informieren, wo das Gefilmte ausgestrahlt wird. Es ist mir klar, dass diese Form des Aktivismus die Wahrscheinlichkeit massiv erhöht, dass ich bei der Arbeit mal an einen Irren gerate, der mich kaltmacht. Sollte das passieren, wäre das natürlich schade, aber das wäre es mir wert. Es ist noch ein weiter Weg zur gesellschaftlichen Gleichstellung von Sexarbeitenden, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass er erfolgreich bestritten wird.

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